Morbus socialis

Barbara Kloska 3. August 2021

Meine Güte. Die Leute heutzutage sind dermaßen auf NEGATIV programmiert.
Alles ist mies, überall erwarten sie hauptsächlich SCHLECHTES – und wenn das unerwartet ausbleibt, mutmaßt man hinter dem GUTEN zumindest eine List, die in eine Falle führt.
Also ich nehme mich da gar nicht aus – habe mich neulich sogar selbst dabei erwischt.
Daher komme ich drauf …

Auf dem Weg zum Auto krame ich also noch in meiner Tasche nach dem Schlüssel, da rempelt mich so ein junger Schnösel auf der Straße an, raunt im Vorbeigehen noch: „Scheiße! Pass doch auf …!“ und ich habe meine liebe Not, durch den seitlichen Ausfallschritt nicht über meine eigenen Füße zu stolpern.
„Pass doch auf? ICH? … Du hast sie wohl nicht alle ...“.
Worauf dieser Kerl stehen bleibt und mir noch einmal „Scheiße!“ entgegenbrüllt.
Und dann hab ich mich geschämt. 

Da lag wirklich so ein frisch gepresster, noch dampfender Halbpfünder mitten auf dem Gehweg und ich hätte mit der mir eigenen Treffsicherheit knöcheltief dringestanden wenn dieser Mann mich nicht zu dem Schritt zur Seite gezwungen hätte.

Ja meine Güte! Das ahnt man doch nicht, dass einen jemand WARNEN will!
Wer rempelt, will seine Machtspielchen ausleben – weiß man doch!
Wer verbal so herumflegelt, ist auf Krawall gebürstet!
Der wartet nur auf jemanden, bei dem er das risikolos durchziehen kann!
Der schaut genau, bei wem keine Gefahr besteht, dass der andere gleich die Zahnfee für einen Großauftrag kommen lässt.
SO ist das Drehbuch!

Aber hier? – Umsicht und Wohlwollen als Motiv für so ein Verhalten – damit rechnet man doch nicht!
Mal ehrlich … Freundlichkeit, Respekt und sowas ist bei unserer sozialen Programmierung gar nicht mehr vorgesehen, oder?
Angesagt ist doch nach wie vor der ach so coole, lässig-freche Umgangston, weil durch jegliche gezeigte Zuneigung der Systemabsturz droht.

Diese Remplerbegegnung endete übrigens mit einer Bitte um Entschuldigung und einem herzlichen Dankeschön meinerseits und einem lachenden „Ist schon okay …“ des netten Mannes.

Aber wie eingeschränkt unsere Sicht auf bestimmte Dinge ist, hat mich doch noch eine Weile beschäftigt.
Wortwahl – Verhalten … und schon geht die Schublade auf, in die man die Person und ihr Tun einordnet.
Und dann hab ich mich gefragt,
wie viele Missverständnisse auf diese Weise entstehen,
wie viel Unmut durch falsche Auslegung aufkommt,
wie viele unpassende Reaktionen eine wahre Kette von weiteren Unannehmlichkeiten auslöst.

Wer z. B. in bester Absicht mit der Hand eine aggressive Hornisse vom Dekolleté einer Dame scheuchen wollte, dieses aber dabei versehentlich berührt, läuft Gefahr, dass er sich eine einfängt, weil das als Zudringlichkeit ausgelegt wird.
Schlussfolgerung: Hand in der Tasche lassen – und den Dingen ihren Lauf.
Wenn anschließend ein alter Mann, der vor einem geht, plötzlich ins Stolpern gerät …
Mit der gemachten Erfahrung lässt man ihn die Power der Erdanziehungskraft voll auskosten! Seinen Fall durch Festhalten stoppen? Phfff …

Aber die Beobachter, die nicht nur den Mann mit der Albatrosslandung gesehen haben, sondern auch die verweigerte Hilfestellung, die erheben nicht nur ihre Stimme, sondern damit auch gleich ihr Klagelied über zunehmende Rücksichtslosigkeit, fehlende Empathie, sinkende Hilfsbereitschaft usw.

Und am lautesten singen die mit, die konsequent NUR weitergeben, was ihnen selbst widerfährt.
Nach dem Motto: wie du mir, so ich dir!
Wenn man mir die Tür nicht offen hält, dann habe ich das auch nicht nötig!
Klar, dass ich sie dem Nächsten auch einfach vor der Nase zufallen lasse. Warum soll ICH nett sein, wenn die Welt voller Arschlöcher ist? DIE haben das doch gar nicht verdient!

Kann es sein, dass unsere Gesellschaft krank ist? Vielleicht sogar SEHR krank?

Infiziert von einem Virus, der sich bereits bei Sichtkontakt überträgt und bei engerem Kontakt das Erkrankungsrisiko um ein Vielfaches erhöht. Und dieser Ansteckungsgefahr ist so gut wie nichts entgegen zu setzen.

Eine der letzten Chancen wäre nur der Mut, ihn mit etwas UNERWARTETEM zukonfrontieren. 
Das bringt die betroffenen VIRENTRÄGER jedoch an die Grenze des Zumutbaren, wenn sie z.B. entgegen aller Gewohnheiten mit spontaner Freundlichkeit, einem offenen Lächeln, einer netten Geste umgehen müssen!
Was für eine Herausforderung, einem anderen einfach mal mit unvorhergesehenem Wohlwollen gegenüber zu treten!
Auch DANN – nein GERADE WENN! er sich gerade um den Titel „Arschloch des Jahres“ bewirbt.
Darüber nachzudenken, was das bewirkt, sei jedem AUSDRÜCKLICHST VERBOTEN!
Und ich hoffe, dass dieses VERBOT genauso wirkt, wie früher das Verbot zu rauchen!

Doch mal ehrlich:
Wenn mich jemand mit Schnupfenbazillen ansteckt, dann infiziere ich ihn dafür mit meinem Magen-Darm-Virus und dann sind wir quitt?
Wenn wir uns gegenseitig neue Erreger verpassen, werden wir beide gesund?
Wenn DIESER Therapieplan erfolgreich sein kann, wird auch beim ruppigen Umgang miteinander Pest mit Cholera bekämpft und geheilt werden können!

Doch bislang bleiben die Behandlungserfolge noch aus.
Ein Plan B zur Bekämpfung der „Ich-mach-dich-fertig“-Seuche darf daher durchaus angedacht werden.
Sicher – so ein ungetesteter Arzneimix aus Empathie, Respekt und Philanthropie ist nichts für Feiglinge. Die Gegenwirkung ist überhaupt nicht einzuschätzen.
Misstrauen, was mit dieser unerklärlichen Freundlichkeit bezweckt werden soll, wird auf jeden Fall aufkommen.
Anspannung, weil dahinter sicher eine unlautere Absicht steckt, mit der man in eine Falle gelockt wird, könnte aufkommen.
Zumindest aber wird man beim anderen Zweifel an der mentalen Gesundheit und Zurechnungsfähigkeit wachrufen.

Die Vorstellung, jemand lächelt, ist freundlich, sagt etwas nette – UND MEINT DAS AUCH SO! ist doch schon mehr als verrückt, oder?
Wer so handelt – völlig ohne einen durch uns gegebenen Anlass – der hat sie doch nicht alle!
Der ist entweder krank, bescheuert oder gefährlich.
Obacht! Äußerste Wachsamkeit ist also angesagt!
Das fehlt auch noch, dass sowas dann um sich greift, vom Unbedarften wohlmöglich als angenehm empfunden und leichtfertig weitergetragen wird!

Es ist schließlich noch nicht erforscht, welche gesundheitlichen Folgen es hat,
wenn uns Endorphine fluten, die sich wohl möglich richtig geil anfühlen und regelrecht SÜCHTIG machen nach MEHR.

Werden wir ggf. Ärger mit der Drogenfahndung bekommen?
Schließlich bestimmt immer noch der Staat, welche Rausch- und Suchtmittel in den Umlauf kommen! Und wenn da keine Steuerbanderole drauf ist, dann gibbetet datt nich!
Oder wird das eher ein Thema für die Gesundheitsbehörde, wenn wir in dieser Weise eine EPIDEMIE auslösen?

Oder werden uns die Geheimdienste auf den Pelz rücken, weil die Invasion von Aliens vermutet wird?

Jedenfalls wäre es den Versuch wert, wieder eine Welt zu schaffen, in der jeder seinen Platz hat, jeder mit seinen individuellen Macken seine Akzeptanz findet, jeder das Anderssein des anderen als Bereicherung und nicht als zu bekämpfende Bedrohung empfindet.
Wir könnten abwarten … oder jetzt einfach mal den Anfang machen!
Wagen, eine eigene Variante zu finden, mit „random acts of kindness“ oder gar seine Umwelt mit seiner ganz individuellen „EPIDEMIC of kindness zu infizieren.

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